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Aus einem Esel macht man kein Rennpferd

Eine Geschichte über ein Mädchen

Ich springe vom Beckenrand, das Wasser umhüllt nach und nach jeden Zentimeter meines Körpers. Hier unten ist es still, für einen Moment ist es so unglaublich still und die Zeit bleibt für einen kleinen Augenblick, eine Sekunde stehen. Dann tauche ich auf, ringe nach Luft öffne meine Augen und mache den ersten Zug. Ich schwimme – ich versuche es zumindest, ich bin die Schlechteste im Team, deswegen darf ich auch nie mit zu Wettkämpfen, warum auch? Ich muss auch gestehen, ich will gar nicht, ich mag mich nicht im Badeanzug, und bin froh wenn ich ein Handtuch habe um mich zu bedecken. Es schützt mich, vor Blicken, Gedanken und dem Gekicher anderer. Wie ich mich dabei fühle? Ich glaube darüber macht sich keiner Gedanken, es tut weh, es tut verdammt weh und im nachhinein mehr, als ich mir in dem Moment eingestehen wollte. Ob ich gerne schwimme? Nein. Warum ich hier bin? Das ist eine gute Frage. Ich sitze auf der Bank, mein Handtuch um Schulter, Bauch und Beine, eine Hand berührt meine Schulter „sei nicht traurig“ sie lächelt „es gibt Kinder die sind sportlich und es gibt Kinder die sind für etwas anderes gemacht“.

Ich halte meinen Stift in der Hand, meine Finger verkrampfen sich und mein Nagelbett wird weiß von dem Druck. Die Ergebnisse des Diktats sind da, - und ich hasse es. Ich starre auf meinen Stift und meine Finger, welche sich mittlerweile wieder rosa färben. Die Namen werden aufgerufen, und dann gleitet ein weiß-rot-schwarzes Blatt Papier in mein Blickfeld. Vor allem rot – fast mehr rot als schwarz. 70 Fehler auf einer Seite – Note 5+, gute Leistung sage ich mir, ich hab mich ja fast schon verbessert. Ich bin schon im Rechtschreib-Training, im Leserechtschreibschwäche Kurs, ah - und vergessen wir nicht die Logopädie Stunden - auf Legasthenie wurde ich auch schon getestet. „Machen sie sich nicht draus“ sagt die Lehrerin zu meinen Eltern, „manche Kinder sind eben langsamer, können eben keine Rechtschreibung, aber erwarten sie sich nicht so viel von ihrer Tochter. Zu viel wird sie es wohl nicht bringen.“

Ob ich schreiben nicht mag? Fangfrage. Aber ich liebe doch Geschichten, ich war nur eben nie schnell darin sie zu schreiben oder sie zu lesen, ich liebte sie zu hören, sie mir auszudenken, warum wird so viel wert auf Rechtschreibung gelegt? Ihr wisst doch was ich meine oder?

Ich betrete einen Raum, 15 Augenpaare auf mich gerichtet, meine Stimmbänder bekommen einen Knoten, ich starre – das kann ich sehr gut. Meinen Namen bekomme ich heraus aber für mehr ist es wohl nicht drin. Ich mag es nicht zu reden, vor allem nicht vor Leuten welche ich noch nie in meinem Leben gesehen habe. Meist bin ich eben das dicke Mädchen mit der „Brustvergrößerung“ weil mein Körper einfach 2-3 Jahre weiter war als ich, oder andere Kinder in meinem Alter. Was ich mir deswegen anhören durfte? Ich glaube das könnt ihr euch denken. Ich habe Angst, Angst vorm Hosen kaufen, das dauert immer so lange und eigentlich passe ich auch nur in Übergrößen. Wie das ist? Naja manchmal musste ich weinen in der Kabine, aber das ist nichts Besonderes, ich weine eigentlich immer – bei jeder Kleinigkeit. Ich will das nicht, aber es ist halt einfach so. „Ach manche Kinder sind eben dünn und manche eben nicht“ sagt die Mutter einer Schulfreundin zu mir „andere sind eben kommunikativer und manche eben nicht. Mach dir da nichts draus, aus einem Esel macht man eben kein Rennpferd.“

Wer ich bin? Ich bins die Bele. Nur halt eben vor 15 Jahren.

„Aus einem Esel macht man eben kein Rennpferd.“

Ihr könnt euch vorstellen der Esel, ja der Esel war halt ich, ich war halt eben unsportlich, dick, schüchtern, verklemmt und über emotional. Aber hey mach dir nichts draus, finde dich damit ab, und das habe ich auch – lange - es war oft der einzige Trost, weil ich wollte doch immer nur so sein wie die andern, eben normal und irgendwann habe ich es auch akzeptiert und es war auch in Ordnung, es ist halt eben so.

An dem Punkt an dem ich heute stehe, schaue ich auf die Zeit zurück und innerlich mischt sich Schmerz mit Lachen und mit Weinen. Ich bin kein Esel, ich bin auch kein Rennpferd, ich bin das, was ich sein will, wer ich bin und will mir von niemandem erzählen lassen, was ich schaffe und was nicht. Dieser Satz hat mich in meiner Jugend so oft begleitet und mich Dinge akzeptieren lassen, welche Stillstand hervorgebracht haben. Ab dem Moment, an dem wir Situationen als Gegeben annehmen arbeiten wir nicht mehr daran, wir stagnieren und die Bewegung ist weg. Über jedem unserer Köpfe ist noch Platz bis zum Himmel, wir werden mit Anlagen geboren aber was wir aus ihnen machen, liegt in unseren Händen und jeder Mensch kann das sein, was er sein will solange er dafür arbeitet, sich aus seiner Komfortzone bewegt und an den Schwächen arbeitet, Grenzen überwindet um sie zu Stärken zu machen. Und klar, es ist manchmal schwerer als bei anderen, manche Päckchen sind schwerer als andere, aber aus den schweren Päckchen ziehen wir mehr Energie.

Die Situationen von damals vergisst man nicht, alles was man erlebt hinterlässt eine Kerbe, und das ist gut so, dadurch wird man erst zu einem Kunstwerk. Darum bin ich so unglaublich stolz darauf was und wer ich heute bin. Dass ich auf Events gehe, mit fremden Personen spreche, vor Kameras stehe und mich mitteile, eine Stunde ohne Probleme joggen kann und dabei habe ich mein Lachen, meine Verträumtheit und meine Liebe zu den kleinen Dingen im Leben nicht verloren.

Was ich damit sagen will?

Lasst euch nicht sagen wer oder was ihr sein sollt, denn am Ende seid ihr es die auf dieser Welt zu Besuch sind, und die darüber entscheiden wer sie auf dieser Welt sein wollen. Überschreitet innere Barriere und nehmt in kauf zu fallen, denn als Blinder erkennt man den Wald erst wenn man gegen den Baum läuft.

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